(BGBl.Nr. 775/1992 ST0266)
Der Nationalrat hat beschlossen:
 
Der Abschluß der nachstehenden Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG, deren Art. 6 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 verfassungsändernd sind, wird verfassungsmäßig genehmigt.
 
 
Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B-VG über die Mitwirkungsrechte der Länder und Gemeinden in Angelegenheiten der europäischen Integration
 
 
Der Bund, vertreten durch die Bundesregierung und die Länder
- Burgenland,
- Kärnten,
- Niederösterreich,
- Oberösterreich,
- Salzburg,
- Steiermark,
- Tirol,
- Vorarlberg und
- Wien,
jeweils vertreten durch den Landeshauptmann, - im folgenden Vertragsparteien genannt - sind übereingekommen, gemäß Art. 15a B-VG die nachstehende Vereinbarung zu schließen:
 
 
Artikel 1
Informationspflicht des Bundes
 
(1) Der Bund unterrichtet die Länder unverzüglich im Wege der Verbindungsstelle der Bundesländer über alle Vorhaben im Rahmen der europäischen Integration, die den selbständigen Wirkungsbereich der Länder berühren oder sonst für sie von Interesse sein könnten. Gleiches gilt für die Gemeinden, soweit der eigene Wirkungsbereich oder sonstige wichtige Interessen der Gemeinden berührt werden. Die Vertretung der Gemeinden obliegt in diesen Angelegenheiten dem Österreichischen Städtebund und dem Österreichischen Gemeindebund.
 
(2) Die Unterrichtung erfolgt insbesondere durch Übersendung der dem Bund vorliegenden
a) Dokumente, Berichte und Mitteilungen von Organen und Einrichtungen der Europäischen Gemeinschaften, der Europäischen  Freihandelsassoziation und des Europäischen Wirtschaftsraumes,
b) Dokumente, Berichte und Mitteilungen über in formelle  Ministertreffen und Gremien im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften, der Europäischen Freihandelsassoziation und des Europäischen Wirtschaftsraumes,
c) Dokumente und Informationen über Verfahren vor Europäischen Gerichten und Streitbeilegungseinrichtungen, an denen die Republik Österreich beteiligt ist, sowie
d) Berichte der Österreichischen Mission bei den Europäischen Gemeinschaften.
 
(3) Über Vorhaben des Bundes in Angelegenheiten der europäischen Integration werden die Länder und Gemeinden im Wege der Einrichtungen gemäß dem Bundesgesetz über die Errichtung eines Rates für Fragen der österreichischen Integrationspolitik, BGBl. Nr. 368/1989, und gemäß der Verordnung des Bundeskanzlers über die Einsetzung und die Geschäftsordnung der Arbeitsgruppe für Integrationsfragen, BGBl. Nr. 574/1989, unterrichtet. Diese Unterrichtung erfolgt insbesondere durch Übermittlung von Dokumenten und Informationen über förmliche Initiativen, Stellungnahmen und Erläuterungen der Bundesregierung für Organe der Europäischen Gemeinschaften, der Europäischen Freihandelsassoziation und des Europäischen Wirtschaftsraumes.
 
 
Artikel 2
Verfahren
 
(1) Die Übermittlung von Informationen im Sinne des Art. 1 Abs. 1 und 2 an die Verbindungsstelle der Bundesländer, an den Österreichischen Städtebund und an den Österreichischen Gemeindebund erfolgt schriftlich.
 
(2) Das Bundeskanzleramt kann der Verbindungsstelle der Bundesländer, dem Österreichischen Städtebund und dem Österreichischen Gemeindebund Informationen, insbesondere in dringenden Fällen, ausnahmsweise auch mündlich übermitteln.
 
(3) Der Verbindungsstelle der Bundesländer obliegt die Verteilung und Weitergabe dieser Informationen an die Länder.
 
(4) Die Übermittlung der Informationen erfolgt zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Das Bundeskanzleramt übermittelt die Unterlagen der Verbindungsstelle der Bundesländer in zwei Exemplaren, dem Österreichischen Städtebund und dem Österreichischen Gemeindebund in je einem Exemplar.
 
 
Artikel 3
Zugang zu einschlägigen Datenbanken
 
(1) Soweit dem Bund Zugang zu Datenbanken im Rahmen der europäischen Integration gewährt wird, wird er sich bemühen, diese nach Maßgabe der rechtlichen und technischen Möglichkeiten und gegen Kostenersatz auch den Ländern, dem Österreichischen Städtebund und dem Österreichischen Gemeindebund auf deren Ersuchen zugänglich zu machen.
 
(2) Soweit dies zur Wahrnehmung integrationspolitischer Belange erforderlich und datenschutzrechtlich zulässig ist, gewährt jede Vertragspartei den übrigen Vertragsparteien auf deren Ersuchen gegen Kostenersatz den Zugang zu ihren eigenen Datenbanken.
 
 
Artikel 4
Fristen
 
(1) Gleichzeitig mit der Übermittlung der Informationen gemäß Art. 1 Abs. 1 und 2 gibt das Bundeskanzleramt der Verbindungsstelle der Bundesländer, dem Österreichischen Städtebund und dem Österreichischen Gemeindebund nach Möglichkeit den vorgesehenen Zeitplan der Behandlung des jeweiligen Vorhabens durch die im Rahmen der europäischen Integration zuständigen Organe bekannt.
 
(2) Das Bundeskanzleramt teilt der Verbindungsstelle der Bundesländer, dem Österreichischen Städtebund und dem Österreichischen Gemeindebund mit, welche Frist den Ländern und Gemeinden für die Erstattung einer Stellungnahme im Hinblick auf den Verfahrensablauf vor den im Rahmen der europäischen Integration zuständigen Organen zur Verfügung steht. Bei der Festsetzung diesel Frist sind der Koordinationsbedarf der Länder und der Gemeinden und ein angemessener Zeitraum für die Auswertung der Stellungnahmen durch den Bund zu berücksichtigen.
 
 
Artikel 5
Allgemeine Stellungnahmen
 
(1) Der Bund hat fristgerechte Stellungnahmen der Länder und Gemeinden zu Vorhaben im Sinne des Art. 1 Abs. 1 bei der Festlegung des Standpunktes der Republik Österreich in den zuständigen Organen der europäischen Integration entsprechend zu erwägen.
 
(2) Stellungnahmen der Länder, des Österreichischen Städtebundes und des Österreichischen Gemeindebundes sind schriftlich an das Bundeskanzleramt zu richten.
 
 
Artikel 6
Bindende Stellungnahmen der Länder
 
(1) Liegt dem Bund fristgerecht eine einheitliche Stellungnahme der Länder zu einem Vorhaben im Rahmen der europäischen Integration vor, das Angelegenheiten betrifft, in denen die Gesetzgebung Landessache ist, so ist der Bund bei Verhandlungen und Abstimmungen an diese Stellungnahme gebunden. Er darf davon nur aus zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen abweichen.
 
(2) In welcher Weise die Länder eine einheitliche Stellungnahme herbeiführen, ist ausschließlich Sache der Länder. Insbesondere kommt dafür eine Ländervereinbarung gemäß Art. 15a B-VG in Betracht.
 
(3) Das Bundeskanzleramt teilt den Ländern im Wege der Verbindungsstelle der Bundesländer die Gründe für ein Abweichen von einer einheitlichen Stellungnahme der Länder gemäß Abs. 1 unverzüglich, spätestens jedoch binnen acht Wochen nach der amtlichen Kundmachung des betreffenden Rechtsaktes, schriftlich mit.
 
 
Artikel 7
Nachträgliche Abänderung von Stellungnahmen
 
(1) Wenn Vorhaben im Rahmen der europäischen Integration, von denen die Länder oder Gemeinden gemäß Art. 1 Abs. 1 und 2 unterrichtet wurden, in weiterer Folge durch die im Rahmen der europäischen Integration zuständigen Organe geändert werden, dann unterrichtet das Bundeskanzleramt davon unverzüglich die Verbindungsstelle der Bundesländer, den Österreichischen Gemeindebund und den Österreichischen Städtebund.
 
(2) Wenn sich daraus Auswirkungen für die einheitliche Stellungnahme der Länder gemäß Art. 6 Abs. 1 ergeben, dann steht es den Ländern frei, ihre einheitliche Stellungnahme entsprechend anzupassen oder zu ergänzen. Die Organe des Bundes berücksichtigen eine geänderte oder ergänzende einheitliche Stellungnahme der Länder gemäß Art. 6 Abs. 1, wenn diese im Hinblick auf den Stand des Verfahrens vor den im Rahmen der europäischen Integration zuständigen Organen rechtzeitig eintrifft.
 
 
Artikel 8
Einbindung von Ländervertretern in Verhandlungsdelegationen
 
(1) Wenn Verhandlungen oder Beratungen im Rahmen der europäischen Integration Angelegenheiten betreffen, die den selbständigen Wirkungsbereich der Länder berühren oder sonst für sie von Interesse sein könnten, dann gibt der Bund dies den Ländern im Wege der Verbindungsstelle der Bundesländer bekannt. Das Bundeskanzleramt unterrichtet die Verbindungsstelle der Bundesländer über Zeitpunkt, Ort und Verhandlungs- oder Beratungsgegenstand. Wenn die Länder darum ersuchen und dies integrationsrechtlich und tatsächlich möglich ist, dann werden der österreichischen Delegation Vertreter der Länder auf deren Kosten beigezogen.
 
(2) Die Vertragsparteien erarbeiten gemeinsam eine Liste jener Strukturen im Rahmen der europäischen Integration, an denen Ländervertreter gemäß Abs. 1 teilnehmen können.
 
(3) Die Vertreter der Länder gemäß Abs. 1 werden von den Landeshauptmännern im Wege der Verbindungsstelle der Bundesländer namhaft gemacht. Für Wortmeldungen solcher Vertreter im Rahmen der jeweiligen Delegation ist das Einvernehmen mit dem Delegationsleiter erforderlich.
 
 
Artikel 9
Ländervertreter bei der österreichischen Mission
 
Die Länder sind berechtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten auf ihre Kosten Vertreter und sonstiges Personal an die österreichische Mission bei den Europäischen Gemeinschaften zu entsenden.
 
 
Artikel 10
Klagserhebung
 
(1) Wenn im Falle einer EG-Mitgliedschaft Österreichs ein rechtswidriges Handeln oder Unterlassen von Organen der Europäischen Gemeinschaften eine Angelegenheit betrifft, in welcher die Gesetzgebung Landessache ist, dann ergreift der Bund auf Ansuchen eines Landes die nach dem Gemeinschaftsrecht hiefür in Betracht kommenden Rechtsbehelfe vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, sofern kein anderes Land diesem Ansuchen widerspricht und nicht zwingende außen- und integrationspolitische Gründe dagegen sprechen.
 
(2) Ansuchen gemäß Abs. 1 sind dem Bundeskanzleramt schriftlich zu übermitteln. Solche Ansuchen haben die in den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts vorgesehenen wesentlichen Inhalte einer Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, einschließlich der Begründung, zu enthalten.
 
 
Artikel 11
Vertretung der Republik nach außen
 
Die Befugnisse des Bundespräsidenten zur Vertretung der Republik nach außen werden durch die vorliegende Vereinbarung nicht berührt.
 
 
Artikel 12
Kosten
 
(1) In den Fällen des Art. 10 sind die jeweils betroffenen Länder dem Bund zur ungeteilten Hand zum Ersatz der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten verpflichtet, die dem Bund im Zusammenhang mit Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften erwachsen.
 
(2) Darüber hinaus sind die jeweils betroffenen Länder zur Tragung jener Kosten verpflichtet, die der Republik Österreich im Zusammenhang mit Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wegen eines EG-rechtswidrigen Verhaltens der Länder erwachsen.
 
 
Artikel 13
Anpassung
 
Die Vertragsparteien erklären sich bereit, diese Vereinbarung nach Maßgabe künftiger Entwicklungen im Rahmen der europäischen Integration auf einen allfälligen Anpassungsbedarf hin zu überprüfen.
 
 
Artikel 14
Inkrafttreten
 
(1) Diese Vereinbarung tritt einen Monat nach Ablauf des Tages in Kraft, an dem 1. die nach den Landesverfassungen erforderlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten erfüllt sind und beim Bundeskanzleramt die  Mitteilungen der Länder darüber vorliegen, sowie 2. die nach der Bundesverfassung erforderlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten erfüllt sind.
 
(2) Das Bundeskanzleramt wird den Ländern die Erfüllung der Voraussetzungen nach Abs. 1 sowie den Tag des Inkrafttretens der Vereinbarung mitteilen.
 
 
Artikel 15
Hinterlegung
 
Diese Vereinbarung wird in einer Urschrift ausgefertigt. Die Urschrift wird beim Bundeskanzleramt hinterlegt. Dieses hat allen Vertragsparteien beglaubigte Abschriften der Vereinbarung zu übermitteln.
 
Geschehen in Wien, am 12. März 1992.
 
Diese Vereinbarung tritt gemäß Art. 14 Abs. 1 mit 26. Dezember 1992 in Kraft.
 
 
Vranitzky
 
Dokumentnummer 
BGBL/OS/19921209/0/0775&&
 
 

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